Man kennt die Thematik auch unter dem Begriff Trennungsangst. Jedoch hat nicht jeder Hund, der eine Herausforderung, mit dem alleine bleiben hat, gleich Angst. Deswegen ist der Begriff “Trennungsstress” zutreffender.
Jeder Hund zeigt bestimmte Verhaltensweisen, wenn er nicht alleine bleiben kann. Wichtig ist, bei folgenden Verhaltensbeispielen, immer das Gesamtbild zu sehen. Nicht jeder Hund der sich kratzt hat gleich Trennungsstress. Trotzdem möchte ich dir einige Beispiele aufzeigen, damit du besser einschätzen kannst, ob dein Hund wirklich nicht alleine bleiben kann, oder sein Verhalten vielleicht auch andere Gründe haben könnte:
- Zerstörung von Gegenständen und/oder der Einrichtung
- Der Hund bellt, jault oder fiept
- Absatz von Kot und Urin in der Wohnung
- Stress bereits vor dem Weggehen
- Übermäßiges kratzen
- Erbrechen und/oder Durchfall (Achtung, das kann natürlich genauso ein Anzeichen von Krankheit oder Vergiftung sein, aber Stress kann auch beim Hund auf den Magen schlagen)
- Lethargie
- Appetitlosigkeit
- Unruhe
- starkes Hecheln
- Übermäßige Körperpflege bis zur Selbstverletzung
- Feuchte Pfotenabdrücke in der Wohnung (durch das Schwitzen der Pfote)
Bevor ich dir erkläre, was du bei Trennungsstress tun kannst, möchte ich erstmal in Teil 1 dieses Artikels mit ein paar Mythen aufräumen, indem ich dir verrate, was Trennungsstress NICHT ist und was du bei Trennungsstress nicht tun solltest. Ich persönlich finde es sehr wichtig, im Hundetraining, nicht nur zu wissen, was ich trainiere, sondern auch weshalb ich bestimmte Dinge nicht trainieren sollte. Am wichtigsten jedoch finde ich, die Ursache des Verhaltens des Hundes zu kennen und auch zu wissen, was auf keinen Fall die Ursache des Verhaltens ist!
Mythos 1: Das ist ein Trotzverhalten des Hundes
Wenn dein Hund, sobald du aus der Wohnung bist, dir in die Wohnung macht oder irgendeine andere Verhaltensweise zeigt, die du nicht gut findest, dann möchte er dich damit nicht ärgern! Er möchte dir damit nicht sagen, wie doof er es findet, dass du dir die Frechheit herausgenommen hast, die Wohnung zu verlassen. Dein Hund hat einfach nur verdammt großen Stress!! Deinen Hund geht es einfach nicht gut, wenn er alleine ist. Das ist alles. Ein deutliches Zeichen für dich, dass dein Hund Trennungsstress hat.
Mythos 2: Dein Hund ist einfach nur dominant.
Dominanz ist keine Charaktereigenschaft (!). Zum Thema Dominanz gibt es einen weiteren Blogartikel, den ich dir an dieser Stelle empfehle, wenn du noch denkst, dass dein Hund in irgendeiner Form dominant ist, oder dass du deinen Hund gegenüber Dominat sein müsstest. Der Mythos, dass wenn dein Hund bellt, sobald du weg bist, dir sagen möchte, wo es lang geht, hält sich hartnäckig. Aber an dieser Stelle kann ich ganz klar sagen, das ist quatsch. Bellen, jaulen, Dinge zerstören, sobald der Mensch weg ist, hat nichts mit Dominanzverhalten zu tun.
Mythos Nummer 3: Der Hund möchte damit seinen Menschen kontrollieren
Wenn der Hund beim alleine bleiben Verhaltensweisen zeigt, die wir nicht so gerne haben, hört man oft, dass man dies unterbinden sollte, da einen der Hund ja nur kontrollieren möchte. Es geht sogar noch weiter, indem man dann damit anfängt den Hund in der Wohnung zu beschränken, damit er einem nicht hinterherläuft. Will er damit dich unter Kontrolle halten? Der typische kontrolletti Hund? Auch wird manchmal empfohlen, das jaulen oder bellen des Hundes, wenn man die Wohnung verlassen möchte oder bereits verlassen hat, zu unterbinden.
Ich bin da anderer Meinung. Jaulen, bellen, knurren aber auch das Zerstören von Gegenständen ist eine Art von Kommunikation. Der Hund kann dir nicht anders sagen, dass er gerade Stress hat. Trennungsstress ist eine unwillkürliche Stressreaktion. Dein Hund möchte diesen Stress auch nicht, er kann nur nicht anders. Statt dem Hund zu unterstellen, dass er dich kontrollieren möchte, sollte man lieber an der wirklichen Ursache arbeiten und tatsächlich mit sinnvollem Training anfangen (dazu kommen wir in Teil 2!)
Wenn die Kommunikation des Hundes nicht verstanden wird, versucht er deutlicher zu kommunizieren. Dein Hund versucht dir immer etwas mitzuteilen. Ignoriere die Verhaltensweisen deines Hundes nicht, sondern suche nach der Ursache. Wenn dein Hund in deiner Abwesenheit Gegenstände zerstört, dann hat er wahrscheinlich Trennungsstress. Arbeite an der Ursache anstatt zu versuchen Verhaltensweisen zu unterdrücken. Erkennen. Verstehen. Handeln.
Was bei Trennungsstress nicht getan werden sollte:
Bestrafung
Stell dir vor, du kommst nach Hause und findest deine Lieblingsschuhe zerkaut vor deinem Hund liegen. Da bleibt doch nur das Schimpfen und das Bestrafen, oder? Sonst weiß der Hund ja nicht, dass er das nicht machen darf! –> Stopp! Wenn du deinen Hund jetzt bestraft, weiß er nicht, wofür er bestraft wird!
Bestrafe deinen Hund nicht dafür, dass er mit dir kommuniziert, dass er dir deutlich sagt, wo seine Herausforderungen liegen. Bestrafe deinen Hund nicht, weil er Stress hat und leidet. Dafür kann dein Hund nichts! Ganz abgesehen davon, verknüpft dein Hund in dem Moment wo du nach Hause kommst, die Bestrafung, niemals mit den zerkauten Schuhen. Niemals! Für ihn, reagierst du ohne ersichtlichen Grund über. Passiert das zu oft, kann der Hund deine Reaktionen nicht mehr einschätzen und du riskierst eine ambivalent-unsichere Bindung. (an dieser Stelle empfehle ich dir den Blogartikel: Die Bindung. Dort hast du alle verschiedene Bindungsarten erklärt). Diese entsteht, wenn der Hund mit einer Bezugsperson lebt, welche Stimmungsschwankungen unterliegt, die zur Folge haben können, dass plötzlich und unvorhersehbar die Stimmung kippt und der Mensch für den Hund ungehalten und unerwartet auf Situation oder Verhalten reagiert. Dies kann dazu führen, dass der Hund, selbst dann, wenn der Hundemensch nichts Böses möchte, mit einem Abwehrverhalten reagiert, das auch mit Aggression einhergehen kann.
Merke: Wenn ein Hund Stress hat, wird er immer nach Möglichkeiten suchen, diesen abzubauen. Das kann durch Bellen, Jaulen, übermäßiges Kratzen oder Lecken, Rennen oder aber durch das Zerkauen von Gegenständen geschehen.
Flooding:
Bei Flooding wird der Hund bewusst seiner Angst bzw. der auslösenden Stresssituation extrem lange und immer wieder ausgesetzt. Also in diesem Fall, quasi aus Absicht so lange alleine gelassen, bis der Hund schlichtweg aufgibt und sich mit der Situation “abfindet”. Eine Trainingsmethode, die ich voll und ganz ablehne. Zu einem wird der Hund noch größeren Stress ausgesetzt, was zu einem Kreislaufzusammenbruch bis hin zum Schock führen kann (das wäre dann schon lebensbedrohlich für den Hund), zum anderen wird damit nicht an der Ursache gearbeitet. Der Stress wird sich auf andere Bereiche ausdehnen, oder der Hund steht weiterhin unter Dauerstress, nur dass er diesen eben nicht mehr kommuniziert. Die häufige Folge: Durch den Dauerstress wird das Immunsystem des Hundes geschwächt. Er wird krank.
“Flooding hat für mich persönlich, nichts mit Hundetraining zu tun. Jeder der sich die Verhaltensbiologie genau anschaut, erkennt, dass dies der absolute falsche Weg ist. Katharina Valentin”
Die Rangordnung klarmachen:
Oft wird geraten, dass Hunde, die “ungehorsam” sind, nicht wissen wie die Rangordnung im Hause ist und dass diese nun dem Hund klargemacht werden muss. Wir wissen bereits, dass Dominanz keine Charaktereigenschaft ist und dass Trennungsstress auch nichts mit Dominanzverhalten zu tun hat. Wenn man anfängt nun dem Hund zu zeigen “wer der Chef im Haus ist” führt das oft zu mehr Problemen als man vorher hatte. Also Maßnahmen wie; der Hund darf nicht mehr auf das Sofa, das Warten vor dem Napf, der Hund darf in der Wohnung nicht mehr hinter dem Menschen hinterherlaufen, der Mensch isst immer zuerst… oder oder, bringen da wirklich gar nichts. Ergibt auch keinen Sinn, denn Trennungsstress hat ja nichts damit zu tun, dass dein Hund in irgendeiner Form dein Chef sein möchte. Es ist ein einfacher Hilferuf an dich.
Übrigens, zu Thema Rangordnung: Die Rangordnung ist rein vom Menschen ausgedacht. Im Hundetraining ist diese ausgedachte Rangordnung völlig egal. Der Hund kann damit nichts anfangen.
Ein Zweithund könnte helfen
Viele Menschen denken, dass wenn man sich einen zweiten Hund anschafft, der erste Hund einen Spielkameraden hat und damit das Problem gelöst ist. Denn dann hat er ja Gesellschaft. Wenn es daran liegt, dass deinen Hund einfach nur langweilig ist, könnte das eventuell ein bisschen helfen. Aber ganz ehrlich, was macht man, wenn er auch der Zweithund nicht alleine bleiben kann? Was macht man, wenn der zweite Hund dem ersten nicht helfen kann? Was ist, wenn beide Hunde plötzlich die Einrichtung zerstören.
Versteht mich nicht falsch, mehrere Hunde zu haben kann etwas Tolles sein, jedoch einen Zweithund anschaffen, in der Hoffnung, dass dieser die Probleme des Ersthundes löst, ist reines Wunschdenken.
Den Hund ignorieren
Oft wird auch geraten, denn Hund einfach zu ignorieren, sobald man nach Hause kommt. Sicherlich hilft es, wenn du ruhig und gelassen bist, wenn du die Wohnung betrittst. Doch die Herausforderung liegt ja nicht darin, dass du zurückkommst, sondern darin, dass du weg warst. Den Hund also zu ignorieren, wenn du nach Hause kommst, hilft bei Trennungsstress nicht weiter.
Wenn du nach Hause kommst, solltest du deinen Hund unbedingt begrüßen und dich mit ihm beschäftigen. Studien haben gezeigt, dass das Wohlfühlhormon (Oxytocin) über einen längeren Zeitraum konstant bleibt, wenn man seinen Hund beim nach Hause kommen streichelt und für ihn da ist. Im Gegenzug dazu sinkt das Stresshormon (Cortisol). Es bringt also wesentlich mehr, auf den Hund einzugehen, als ihn zu ignorieren.
Wertvolle Tipps:
Finde im ersten Schritt heraus, ob dein Hund wirklich Trennungsstress hat.
Um herauszufinden, ob dein Hund tatsächlich Trennungsstress hat, oder ihm schlichtweg langweilig ist, stelle eine Kamera auf. Wenn dein Hund eigentlich ganz gechillt und entspannt ist, sich dann aber in aller Ruhe etwas zur Entspannung sucht, dann ist ihm wahrscheinlich langweilig. Sorge in diesem Fall für Beschäftigung: Kauhölzer, Knochen, ein gefüllter Kong oder ähnliches kann schon ausreichen, damit dein Hund nicht auf dumme Ideen vor Langeweile kommt.
Sollte der Trennungsstress plötzlich auftreten, obwohl der Hund sonst immer gut alleine bleiben konnte, lasst euren Hund unbedingt gesundheitlich durchchecken. Wenn sich der Hund unwohl fühlt, aufgrund einer Erkrankung oder Verspannungen, kann es durchaus sein, dass es ihm schwerer fällt, alleine zu bleiben.
Ich hoffe sehr, dass ich dir nun erklären konnte, was Trennungsstress nicht ist und was du bei Trennungsstress lieber nicht tun solltest. Mit diesem Wissen kannst du jetzt das Training beginnen. Die Anleitung dazu findest du im nächsten Blogartikel. In diesem findest du auch den Podcast zum Thema in voller länge.
Deine Katharina Valentin
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